Die Tumandok sind eine Gruppe von Indigenen, die vor allem in den Bergen im Zentrum der Insel Panay Leben. Die meisten ihrer Mitglieder leben von der Landwirtschaft und bauen Reis, Kaffee, Bananen und Ingwer an. Vor acht Jahren zerstörte Super-Taifun Haiyan/ Yolanda ihre Felder und Häuser. Weit abgelegen vom Zentrum der nächsten Stadtgemeinde waren sie, wie so oft, zunächst auf sich allein gestellt. Dank ihrer starken Gemeinschaften begannen sie nach und nach mit dem Wiederaufbau. Philippinische und internationale NGOs unterstützten sie darin. Sie begannen aufzuforsten und die ersten Bananen-Ernten auf den größeren Märkten in den Städten Iloilo und Roxas zu verkaufen.
Ein Großteil der Indigenen hat sich in der TUMANDUK Organisation (TUmanduk nga MAngunguma nga Nagapangapin in sa DUta kag Kabuhi)[1] zusammengeschlossen. Seit 1996 setzen sie sich dafür ein, dass ihre Rechte respektiert und geschützt werden. Seit Jahrzehnten sind die Tumandok mit gesellschaftlicher sowie staatlicher Marginalisierung, Landraub und Verfolgung konfrontiert.
Ein Teil ihres Ahnenlandes wurde 1962 unter Präsident Diosdado Macapagal zum Militärreservoir erklärt. Seit 1973 setzen sich die Tumandok dafür ein, dass ihr Ahnenland auch als solches eingetragen und geschützt wird. Immer wieder sind ihre Ländereien und Existenzen von vermeintlichen Entwicklungs- oder Umweltprogrammen und der damit einhergehenden Militarisierung bedroht.
Bereits 1961 begann die Regierung mit der Planung eines Damm-Projekts, in der Grenzregion zwischen den Gemeinden Tapaz und Calinog. Der Damm, in seiner zweiten Entwicklungsphase ein Prestige-Projekt der Benigno Aquino III Regierung (2010-2016), soll u.a. zur Stromgewinnung der Großstadt Iloilo beitragen. Das Projekt wird von der südkoreanischen Exim Bank unterstützt. Von dem Bau des Damms und der damit einhergehenden Flutung des Tals ist die Existenz von 16 Barangays bedroht. Neun von ihnen sollen vollständig geflutet werden. Das gesetzlich vorgeschriebene Zustimmungsverfahren, das die Einwilligung der betroffenen Gemeinschaften erfordert (Free Prior and Informed Consent), wurde laut der TUMANDUK Organisation vielfach verletzt. Anstatt die Standpunkte der Tumandok zu respektieren, wurden insbesondere kritische Stimmen unter starken Druck gesetzt, dem Vorhaben zuzustimmen. Zahlreiche philippinische und internationale Organisationen weisen zudem darauf hin, dass die aktive westphilippinische Verwerfungslinie nur 11km von dem Projektgebiet entfernt liegt und bei einem Erdbeben massiver Schaden für Mensch und Natur zu erwarten wäre. Der Protest konnte den Bau des Damms immer wieder aufhalten, doch die Regierung hält an ihrem Vorhaben fest.
Als im Mai 2017 in Mindanao das Kriegsrecht ausgerufen wurde, erinnerten sich die Älteren an dunkle Zeiten und brutale Menschenrechtsverletzungen unter Diktator Ferdinand Marcos (1965-1986): Auch damals schon wurden sie bezichtigt den bewaffneten Arm der kommunistischen Partei, die New People’s Army (NPA), zu unterstützen bzw. Mitglieder der Guerilla zu sein. Doch es waren vor allem Zivilist*innen und Angehörige der Tumandok Gemeinschaften, an denen ein Exempel statuiert wurde: Sie wurden brutal ermordet und ihre Köpfe auf Pfosten ausgestellt in dem Versuch Individuen, die Gemeinschaft und den Zusammenhalt der Tumandok zu brechen.
Sie setzten sich dennoch weiter für ihre Rechte und ihre Gemeinschaft ein, bis heute. Sie nehmen Teil an Dialogen mit den Behörden, öffentlichen Protesten und Veranstaltungen, sie erscheinen in den Medien und suchen Unterstützung für ihr Anliegen in den Philippinen und im Ausland.
Auf sie konzentrieren sich die staatlichen Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen die NPA, die in den Bergen von Tapaz und Calinog gegen die philippinische Armee agiert. Unbewaffnet und sesshaft sind die Tumandok ein leichtes Ziel für die Militäroperationen.
Erst wenige Wochen vor dem letzten Massaker suchten Tumandok aus den Orten Tacayan und Lahug die Hilfe der philippinischen Menschenrechtskommission. Mehrere Bewohner*innen waren vom Militär bedroht und dazu gedrängt worden sich als vermeintliche Mitglieder der kommunistischen Guerilla zu ergeben. Die Betroffenen waren Zivilist*innen und wehrten sich dagegen entsprechende Dokumente zu unterzeichnen. Andere, wie beispielsweise Eliseo Gayas oder Maurito Diaz, gaben aus Angst dem Druck der staatlichen Sicherheitskräfte nach und meldeten sich bei der örtlichen Polizei um ihren Namen von der Liste nehmen zu lassen. Beide wurden kurz darauf ermordet.
Die Ereignisse vom 30. Dezember 2020 erinnern nur zu deutlich an die schlimmen Tage aus der Marcos-Zeit. Ab 4 Uhr früh drangen Spezialeinheiten der Polizei und das Militär in Häuser ein. Im Schlaf, in der Gegenwart von Familienmitgliedern und unter den flehenden Rufen ihrer Angehörigen wurden Roy „Alan“ Giganto, Reynaldo Katipunan, Mario Aguirre, Eliseo Gayas, Maurito Diaz, Artilito Katipunan, Jomar Vidal, Garson Catamin und Rolando Diaz vor oder in ihren Häusern ermordet. 16 Indigene, darunter auch die frühere Ortsvorstehende und Regierungsmitarbeiterin Marevic Aguirre, wurden verhaftet. Sie werden beschuldigt führende Mitglieder der Kommunistischen Partei zu sein und widerrechtlich Waffen und Sprengstoff zu besitzen. Anschuldigungen, die 12-20 Jahre Haft und keine Entlassung auf Kaution vorsehen. Zeug*innen sprechen von manipulierten Beweisen, die den Betroffenen im Zuge der militärischen Operation untergeschoben wurden. Ein bewährtes Mittel staatlicher Sicherheitskräfte, um kritische Stimmen in der Zivilgesellschaft als Mitglieder der Guerilla zu brandmarken und mundtot zu machen.
Unter den Ermordeten und Inhaftierten sind weitere Mitglieder der örtlichen Regierungsstrukturen sowie führende Persönlichkeiten der TUMANDUK Organisation, Jugendliche und Indigene im Rentenalter. Die staatlichen Sicherheitskräfte verteidigen ihre Operation und behaupten, dass sich die Ermordeten mit Schusswaffen den Durchsuchungen und Verhaftungen widersetzt hätten. Ein bekanntes Narrativ aus dem sogenannten „Kampf gegen die Drogen“, das vielfach widerlegt wurde und dem laut der regionalen Organisation DAGSAW Panay & Guimaras Indigenous Peoples Network Zeug*innen und Angehörige der Ermordeten entschieden widersprechen.
Die Großoperation erinnert jedoch nicht nur an die Marcos-Zeit, sondern auch an zwei aufeinanderfolgende Großoperationen der staatlichen Sicherheitskräfte im Dezember 2018 und März 2019 auf der Insel Negros. Dabei wurden insgesamt 20 Menschen ermordet und über 50 Menschen verhaftet. Auch hier wurden den Verhafteten illegaler Besitz von Waffen und Sprengstoff vorgeworfen und die Getöteten sollen sich, nach Polizeiangaben, gegen ihre Verhaftungen gewehrt haben. Zeug*innen widersprachen und gaben an, wie Schusswaffen im Nachhinein von Sicherheitskräften in den Häusern der Betroffenen platziert worden waren (AMP Bericht, S. 16-17).
Die Hinterbliebenen sind mit einer nahezu absolut herrschenden Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen in den Philippinen konfrontiert, mit Existenzängsten und der Angst vor weiteren Repressionen. J. Giganto schreibt in Hiligaynon: „[…] was wir nicht verkraften ist, dass wir kaum Hoffnung auf Gerechtigkeit für eure Ermordung haben, da es schon seit langem keine Gerechtigkeit für uns Marginalisierte gibt.“
Unter Präsident Rodrigo Duterte und insbesondere seit dem Scheitern der Friedensverhandlungen zwischen der philippinischen Regierung und der kommunistischen National Demokratischen Front (NDF) haben die Menschenrechtsverletzungen gegenüber kritischen Stimmen in der Zivilbevölkerung erheblich zugenommen, ganz zu Schweigen von den Tausenden Toten im staatlichen „Krieg gegen die Drogen“. Zwischen Juni 2016 und Dezember 2020 wurden allein über 230 Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen getötet.
Vor dem Obersten Gerichtshof der Philippinen wird im Februar 2021 das umstrittene Anti-Terror Gesetz angefochten, das im Juli 2020 erlassen wurde. Auf der Grundlage dieses Gesetzes können Menschen grundlos zu Terrorist*innen erklärt werden. Eine bestehende Praxis, die nun jedoch rechtlich abgesichert wurde. Das Gesetz erlaubt nicht nur die Inhaftierung von Verdächtigen ohne richterlichen Beschluss und Anklage für die Dauer von bis zu 24 Tagen, sondern auch das Einfrieren von Konten ohne richterlichen Beschluss. Nationale und internationale Kritiker*innen sehen darin einen Verstoß gegen die Verfassung und Grundrechte der Filipin@s.
Werden die 13 Anwält*innen, die das Gesetz anfechten einen Erfolg für die Rechtstaatlichkeit des Landes erreichen und der Oberste Gerichtshof das Gesetz kippen? Es wäre ein kleiner Hoffnungsschimmer in einer sich stetig gravierend verschlechternden Menschenrechtssituation im Lande und ein wichtiges Zeichen für all jene, die sich trotz der vielen Morde, Verhaftungen und staatlichen Verfolgung für Menschenrechte und soziale Veränderung einsetzen.
[1] Tumandok ist die Bezeichnung für Mitglieder der indigenen Gruppe, TUMANDUK ist die Organisation, der ein Großteil der Indigenen angehört.